Februar 2007: René Adler steht zum ersten Mal bei einem Bundesligaspiel zwischen den Pfosten. In seinem Debüt für Bayer Leverkusen geht es in Gelsenkirchen gegen Schalke 04. Es wird ein 1:0–Auswärtssieg. Adler hält wie ein junger Gott. Und sticht sein Gegenüber, Manuel Neuer, um Längen aus. Elf Jahre und 269 Bundesliga-Spiele später hütet Adler letztmalig ein Bundesliga-Tor. Und hält es sauber. Inzwischen genießt der gebürtige Leipziger das Ende seiner Fußballkarriere und spielt in ganz neuen Rollen groß auf: als Ehemann und Papa, als Unternehmer und TV-Moderator, als Business Angel und Investor, als Hunde-Profi und Charity-Schirmherr. Ein Gespräch abseits des Platzes.
Vermissen Sie es, im Tor zu stehen?
Was ich vermisse, ist das unmittelbare Erfolgserlebnis, das dir der Sport bieten kann. Eine super Parade, ein gewonnenes Spiel, die Flachserei mit den Jungs in der Kabine – das fehlt mir schon. Ansonsten bin ich happy mit meinem Leben. Privat und beruflich.
Sie galten lange als das größte Torhüter-Talent Deutschlands, waren als die Nummer 1 für die WM 2010 in Südafrika vorgesehen. Warum hat schließlich Manuel Neuer Ihren Platz eingenommen?
Ich bin zufrieden mit meiner Laufbahn, ich durfte viel erleben, habe viel gesehen. Ich habe vielleicht nicht immer und konstant alle PS auf die Straße bekommen. Manu verfügt über eine natürliche Leichtigkeit, die mir gefehlt hat. Ich war zu verbissen, habe zu viel gewollt und auch viel zu viel trainiert. Ein Rippenbruch hat dann alle meine Träume begraben. Ich musste die WM 2010 zuhause und schweren Herzens vom Fernseher aus verfolgen, während Manu mit der Nationalmannschaft einen großartigen dritten Platz erreicht hat.
Was ist Ihre Schlüsselerkenntnis aus Ihrer Fußballerkarriere?
Ich liebe es, im Team zu agieren. Um erfolgreich zu sein, braucht man Spieler mit unterschiedlichen Qualitäten. Und da ist man sich auch nicht immer eins. Aber man kann sich immer respektieren. Und Respekt ist für mich auch die Grundlage für quasi alles – dass eine Mannschaft als Team funktioniert, dass sie auf dem Platz erfolgreich ist, dass Entwicklung möglich wird.
Fußball ist zudem ein Kontaktsport. Da geht es schon mal rauer zu. Gerade als Torwart geht man oft zu Boden. Als Profi-Keeper lernt man aber, sofort wieder aufzustehen. Das ist essenziell, um erfolgreich zu sein. Eine Eigenschaft, die nicht nur beim Sport wichtig ist, sondern im Leben allgemein: Nie aufgeben, immer weitermachen und stetig aus Fehlern lernen.
Wie ist Ihnen der Übergang vom Fußballer zum Nicht-Fußballer gelungen?
Ich bin noch mittendrin in dieser Phase und es klappt immer besser. Aber es ist gar nicht so einfach, auf einmal Herr über seinen eigenen Tagesablauf zu sein. Ungewohnt! Schön, aber auch herausfordernd. Ich habe mich gefragt, was ich wirklich brauche, um glücklich zu sein. Privat zählen meine Frau Lilli und unser 2020 geborener Sohn Caspar zu den größten Glücksfällen meines Lebens. Und auch unsere beiden Hunde Suki und Momo sind wichtig für unser Familienglück.
Was für Nicht-Hunde-Menschen vielleicht komisch klingt. Aber so ist es! Beruflich hatte ich das große Glück, mir verschiedene Standbeine aufbauen zu können, die alle mit meiner Leidenschaft für den Fußball zu tun haben.
Was kann man sich darunter vorstellen?
Ich bin schon vor ein paar Jahren in eine Torwarthandschuhfirma eingestiegen. Sie heißt T1tan, geschrieben mit einer „1‟ statt „i‟ im Namen, weil die Eins klassischerweise die Rückennummer des Torhüters ist. Ich war damals einer der ersten Profi-Fußballer, der seinem Investment nicht einen strategischen Mehrwert zur Verfügung stellte, sondern dort auch aktiv mitarbeitet. Zielgruppe des Unternehmens sind Amateur-Keeper. Selbst die brauchen vier bis sechs Paar Handschuhe pro Jahr. Das ist ein großer finanzieller Posten für sie. Ich erinnere mich gut, wie bei mir als Teenager alles Ersparte und jedes Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk für Handschuhe draufgegangen sind. Ein Paar kostet normalerweise so zwischen 100 und 200 Euro. T1tan kann deutlich günstiger sein, da wir online verkaufen und so die Marge der Einzelhändler umgehen. Mittlerweile hat sich die T1tan zu einer erfolgreichen Marke entwickelt.
Zudem arbeite ich als TV-Experte bei Sky und Pro7, mache bei der UEFA mit anderen internationalen Top-Spielern meinen Master im Sportmanagement und habe gerade als Geschäftsführer zusammen mit Partnern ein neues Start-up gegründet und am Markt positioniert. Wir bieten die App „11TransFAIR“ an, die als digitale Plattform den internationalen Transfermarkt von Fußballspielern revolutionieren wird. Sie schafft eine nie dagewesene Transparenz im unübersichtlichen Transfermarkt und bringt einfach und unkompliziert Profi-Vereine und verifizierte Spieler länder- und ligaübergreifend zusammen. Aktuell sind über 65 Clubs und etwa 250 Profi-Spieler bei „11TransFAIR“ vereint. Tendenz steigend.
Mit Ihrer Frau haben Sie die Schirmherrschaft für ein gemeinnütziges Projekt in Sumatra übernommen. Dort soll das größte Recyclingdorf der Welt entstehen. Was hat Sie dazu bewogen?
Ich habe während meiner aktiven Karriere öfter überlegt, ob ich eine eigene Stiftung gründen soll. Letztlich habe ich mich dagegen entschieden, da ich mich nicht nur für ein Thema, sondern für viele unterschiedliche Themen engagieren wollte. Ich wollte etwas für Kinder tun, deshalb bin ich in meiner Heimatstadt Leipzig in der Elternhilfe für krebskranke Kinder sehr aktiv. Ich wollte etwas für den Tierschutz tun, deshalb kümmern wir uns seit vielen Jahren um Straßenhunde. In der Robert-Enke-Stiftung bin ich im Kuratorium und bringe mich dort ein. In meinem Baukasten fehlte nur noch ein letztes Puzzleteil – das Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Da hatte ich noch nicht das Richtige gefunden, bis ich die Gründer von Project Wings kennenlernte. Bereits beim ersten Treffen wusste ich: Hier stehe ich total dahinter, hier stimmt die Chemie, hier will ich unbedingt dabei sein.
„Wir müssen alle auf den Fußabdruck schauen, den wir hinterlassen. Jeder muss seinen Weg finden, wie er damit umgeht.“
René Adler
Was hat Sie an dem Projekt in Sumatra so fasziniert?
Hier wird aus Plastikmüll das größte Recyclingdorf rund um den Globus geschaffen. Das Projekt vereint somit alles, was mir wichtig ist: Hilfe für Menschen in Not und gleichzeitig Schutz der Tier- und Umwelt. Ganz nebenbei wird so der nachhaltigste Fußballplatz der Welt gebaut. Vor allem aber haben mich die Gründer selbst beeindruckt. Ihre Vision. Das Feuer. Die Leidenschaft, die man in jeder Sekunde spürt. Da hat sich jemand gegen einen gut bezahlten Job in der Wirtschaft entschieden, lebt lieber von 600 Euro im Monat und steckt alles in ein Herzensprojekt, weil er nicht anders kann. Und so viel zufriedener ist. Das hat mich tief bewegt. Und beeindruckt. Bei Project Wings sind Menschen am Werk, die immer in Sumatra vor Ort sind und genau wissen, was sie tun.
Ist diese Vor-Ort-Präsenz auch der Grund, warum sie sich für die PATRIZIA Foundation interessiert haben?
Ich war einmal Gast beim Foundation Talk der PATRIZIA Stiftung in Frankfurt. Die Podiumsdiskussion zwischen dem Gründer der PATRIZIA Foundation, Wolfgang Egger, und der Gründerin der Sauti Kuu Foundation, Auma Obama, hat mich sehr beeindruckt. Damals hatte die PATRIZIA Foundation Sauti Kuu bei der Errichtung eines Ausbildungszentrums in Kenia unterstützt, in dem Kinder und Jugendliche ein breites Weiterbildungsangebot für Schule und Beruf finden und soziale Kompetenzen erwerben. In Sauti Kuu hat die PATRIZIA Foundation somit einen starken Partner vor Ort, der Kindern im ländlichen Kenia Chancen auf eine bessere Zukunft gibt. Anders geht es meiner Meinung nach nicht. Und das ist ein Prinzip, das bei allen Einrichtungen der PATRIZIA Foundation weltweit gilt. Aus meiner Sicht ist das extrem wichtig, wenn man Dinge vor Ort dauerhaft verändern möchte.
Was ist aus Ihrer Sicht wichtig, wenn man eine Charity-Organisation finanziell unterstützen möchte?
Wir leben in einer Zeit, in der nicht mehr so viele Menschen spenden wie früher. Die größeren Organisationen sind schlicht zu intransparent. Wo geht das Geld genau hin? Kommt es an der richtigen Stelle an? Da ist vieles ungeklärt. Von daher engagiere ich mich persönlich lieber für kleinere Charity-Organisationen. Den Ansatz der PATRIZIA AG finde ich deshalb sehr bemerkenswert: Sie übernimmt alle Kosten, die mit dem Betrieb einer Stiftung verbunden sind. Somit können 100 % der Spenden in die Projekte der PATRIZIA Foundation fließen. Und der Spender kann bis zum letzten Cent nachvollziehen, was mit seiner Zuwendung gemacht wird. Für mich ist diese Transparenz der Schlüssel, wenn man nachhaltig Spender gewinnen und begeistern möchte.
War für Sie Nachhaltigkeit immer schon ein großes Thema oder hat sich das erst entwickelt?
Als junger Profi lebt man in der Blase Fußball, da macht man sich weniger Gedanken über die Zukunft, sondern lebt im Hier und Jetzt. Mein Bewusstsein hat sich mittlerweile komplett gewandelt. Ich denke und handle heute ganz anders. Früher habe ich mir nie Gedanken über mein Konsumverhalten gemacht. Ich bin jetzt nicht plötzlich zu einem radikalen Veganer geworden. Das ist nicht mein Weg. Ich esse immer noch gerne Fleisch. Aber eben maximal reduziert, vielleicht einmal pro Woche. Und wenn ich es tue, will ich wissen, wo es herkommt und wo das Tier gelebt hat. Wir stecken mitten im Klimawandel und jeder sollte wissen, was alles dazu beiträgt und sein Handeln entsprechend überprüfen.
Sein Handeln überprüfen – worum geht es noch?
Beispielsweise um nachhaltige Klamotten. Oder ums Fliegen. Wie gesagt, ich bin keine Mutter Teresa. Ich bin früher öfter von Hamburg nach Köln geflogen. Das war völlig normal. Und keiner hat darüber weiter nachgedacht. Heute nehme ich die Bahn, auch wenn es mich mehr Zeit kostet. Wir müssen alle auf den Fußabdruck schauen, den wir hinterlassen. Jeder muss seinen Weg finden, wie er damit umgeht. Bei meiner Frau und mir war es so, dass die Geburt unseres Sohnes nochmal ein einschneidender Moment war. Logischerweise, denn mit der Verantwortung für ein Kind überlegt man sich schon, in welche Welt wir so ein kleines Geschöpf einmal entlassen. Wir alle haben Verantwortung – für das, was wir tun, aber genauso auch für das, was wir nicht tun.
Das Interview führte Andreas Menke.
René Adler
René Adler wird am 15. Januar 1985 in Leipzig geboren. Mit sechs Jahren beginnt er Fußball zu spielen. Als ein Talentscout vom VfB Leipzig an seine Schule kommt, ihn aber nicht zum Probetraining einlädt, fragt er, ob er trotzdem teilnehmen darf. Der Scout stimmt zu, der Trainer stellt Adler jedoch ins Tor, was dieser nur unter Tränen mitmacht. Aber: Er beißt sich durch. Und schnell wird klar, dass er außergewöhnlich viel Talent hat. Mit 15 wechselt er zu Bayer Leverkusen. Sieben Jahre später hütet er zum ersten Mal in einem Bundesligaspiel das Tor. Seit 2016 ist René Adler mit der Schauspielerin Lilli Hollunder verheiratet. Sie leben mit ihrem Sohn und ihren zwei Hunden in Hamburg.