Als Missionsarzt und Chefarzt des St. Joseph’s Hospital in Peramiho war Bruder Ansgar viele Jahre in Tansania und begleitete dort das erste Stiftungsprojekt: den Bau der Kinderkrankenstation. Heute leitet der 68-Jährige den Vier-Türme-Verlag der Abtei Münsterschwarzach. Als Mediziner setzt er sich intensiv mit dem Corona-Virus auseinander – und vergleicht die Situation hier mit der in Ostafrika.
Bruder Ansgar, wie beurteilen Sie als Arzt die aktuelle Corona-Krise, hier und in Afrika?
Die Verbreitung der Infizierten hierzulande nimmt viel schneller zu als gedacht, und inzwischen sind auch jüngere Leute zunehmend betroffen. Was es uns schwer macht: Wir haben in Deutschland so gut wie keine Erfahrungen mit Epidemien und können nicht auf frühere Erfahrungen aufbauen, wie es beispielsweise in vielen afrikanischen Ländern der Fall ist. Meiner Meinung nach müssten wir organisatorische Dinge besser in den Griff kriegen. Wir setzen unsere Energien und Potenziale oft falsch ein: In Deutschland betreiben wir eine Individualmedizin, die sehr viele Ressourcen und Mittel beansprucht. In Afrika sehen wir hingegen, dass mit geringeren Mitteln mehr erreicht wird.
Sind afrikanische Länder besser vorbereitet auf Corona?
Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Cholera oder Ebola verstehen Länder wie Uganda oder Ruanda mehr von Epidemien. Uganda beispielsweise hatte auch Fälle von Ebola, konnte aber durch die ergriffenen Maßnahmen wie routinemäßiges Fiebermessen an
der Grenze eine großflächige Ausbreitung verhindern. Und Ruanda hat vor zwanzig Jahren die Cholera-Epidemie, die mit der Fluchtbewegung ins Land kam, gut überstanden. Diese Länder sind sehr gut organisiert in der Bekämpfung von Epidemien.
Den offiziellen Zahlen zufolge gibt es in Afrika viel weniger Infizierte als bei uns. Warum sind die Menschen dort weniger von Corona betroffen?
Es gibt Überlegungen, dass sich das Virus in tropischen Ländern wegen der Hitze nicht so schnell ausbreitet. Das ist jedoch noch nicht erwiesen. Es ist vielleicht auch mehr eine Hoffnung! Ein Grund für die langsamere Ausbreitung ist sicher, dass die Menschen in ländlichen Gegenden nicht so viel unterwegs sind wie bei uns. Das grenzt schon mal die Übertragungsmöglichkeiten ein. Dann ist in Ostafrika mehr als die Hälfte der Bevölkerung jünger als 18 Jahre und zählt damit nicht zur Hochrisikogruppe. Außerdem sind bei Afrikanern die Immunglobuline im Blut extrem hoch – vermutlich, weil sie in ihrer Kindheit viele Infektionen überstehen mussten. Das ist vielleicht mit ein Grund, warum es in Afrika keine so schweren Grippe-Erkrankungen wie bei uns. Und deshalb könnte die Bevölkerung dort auch besser vor einer Corona-Infektion geschützt sein. Ein mögliches Bedrohungsszenario sehe ich jedoch: In Tansania sind etwa fünf Prozent der Bevölkerung mit HIV infiziert, das sind 2,5 Millionen Menschen in Tansania. Wegen ihrer Immunschwäche sind sie auf den Corona-Virus möglicherweise besonders anfällig. Zwar gibt es bisher keine Untersuchungen auf diesem Gebiet. Es wäre aber denkbar, dass es in dieser Bevölkerungsgruppe die meisten Todesfälle geben wird.
Sie sind immer noch offiziell Direktor des Krankenhauses in Peramiho. Wie oft sind Sie in Tansania und wie ist die Lage dort in Zeiten von Corona?
Ich bin zwei Mal im Jahr vor Ort und stehe auch sonst in engem Kontakt mit den Ärzten dort. Der Betrieb im St. Joseph’s Hospital läuft regulär weiter, aber man bereitet sich vor. So werden im Krankenhaus bereits Zimmer für mögliche Corona-Fälle bereitgestellt. Natürlich ergreift die Regierung auch Maßnahmen, um die Ausbreitung zu verhindern. So wurde zum Beispiel der Fußball-Cup, den ich gestiftet habe, der Ansgar-Cup, von der Regierung abgesagt.
Und wie wirkt sich das Virus auf die PATRIZIA Children Center in Tansania aus?
Da kann ich Entwarnung geben, denn die Kinder bekommen so gut wie keine Symptome, selbst wenn sie das Virus in sich tragen. Es gab auch noch keine Todesfälle von Kindern. Dennoch werden auch in Tansania Schulen geschlossen. Dabei geht es jedoch nicht darum, die Kinder zu schützen, sondern deren Eltern bzw. die Gesellschaft. Denn als Träger der Viren können die Kinder andere natürlich auch anstecken.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, die das Virus langfristig mit sich bringen wird?
Das sind ganz klar die wirtschaftlichen Folgen. Und diese werden die armen Länder noch viel stärker treffen als uns – auch wenn sie selbst weniger Infizierte haben. Vor allem durch Einbußen im Tourismus werden viele Länder stark leiden. Tansania ist bereits wirtschaftlich erfasst. Die Inlandsflüge wurden wegen Mangels an Passagieren eingestellt. Man macht sich Sorgen, ob die Medikamentenversorgung aufrechterhalten bleibt. Das ist wegen Produktionsausfällen in Indien und China möglich. Außerdem sind Transporte ebenfalls reduziert.
Bruder Ansgar: Arzt, Missionar, Verlagsleiter – und Stiftungsbeirat
Der studierte Mediziner war 16 Jahre lang als Missionar und Arzt in Afrika, von 1987 bis 2003. In Tansania leitete er das St. Joseph’s Hospital in Peramiho im Südwesten des Landes. Dort entstand 2002 mit der Kinderkrankenstation auch das erste Projekt der PATRIZIA Children Foundation. Bruder Ansgar begleitete die Konzeption und den Ausbau des PATRIZIA Children Hospital Peramiho von Anfang an. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland betreute er als Missionsprokurator die internationalen Projekte der Benediktiner in St. Ottilien. 2019 übernahm er die Leitung des Vier-Türme-Verlags der Abtei Münsterschwarzach. Seit vier Jahren steht er als Mitglied im Stiftungsbeirat der PATRIZIA Children Foundation beratend zur Seite.