Otto Dodoo: Bildung ist der Schlüssel

Feb. 2022

Maiskörner säubern, zwei Tage lang in Wasser einweichen, das Ganze zu Maismehl mahlen und mit ordentlich Wasser versetzen, den Teig für drei Tage in einen Topf bei Raumtemperatur gären lassen, den fermentierten Teig zu Klößen formen, salzen, in angefeuchtete Maisblätter einwickeln, danach etwa drei Stunden lang in Wasser garen, fertig ist Kenkey – eine Beilage, die zu fast jeder Mahlzeit in Ghana gegessen wird. Und Kenkey ist auch das Lieblingsgericht von Nii Otto Dodoo, ist er doch in Ghana damit groß geworden. Seit ein paar Jahren muss er jedoch nun schon auf seine Lieblingsspeise verzichten, da er 2018 zum Studium nach Deutschland gekommen ist. Nach erfolgreichem Abschluss arbeitet er nun für die PATRIZIA Foundation. Ein Gespräch übers Aufbrechen und Ankommen.

2018 hast du dein Heimatland Ghana erstmals verlassen und bist nach Deutschland gekommen. Wie war dein erster Eindruck?

Ich bin in Frankfurt angekommen. Vom Flughafen ging es mit dem Zug weiter nach Marburg. Als ich am Bahnsteig auf den Zug wartete, habe ich meinen Augen nicht getraut. In meiner Heimat gibt es gerade mal einen Zug. Und der pendelt zwischen Accra nach Nsawam – täglich zweimal hin- und zurück. Für die 40 km lange Strecke braucht er zwei bis drei Stunden. Während meiner 20-minütigen Wartezeit habe ich mehr Züge gesehen als in den letzten 20 Jahren.

Woher kommst du aus Ghana? Und wieso trägst du einen deutschen Vornamen?

Ich bin in Pokuase groß geworden. Das war mal ein Vorort, mittlerweile ist es ein Stadtviertel von Accra. Ghanas Bevölkerung setzt sich aus unterschiedlichen Ethnien zusammen. Der Stamm der Ga, der in meiner Region zahlenmäßig vorherrscht, ist einer davon. Die Namensgebung bei den Ga folgt einer langen Tradition: Der Neugeborene erhält als zweiten Vornamen immer den zweiten Vornamen seines Großvaters, d.h.

mein Ur-Ur-Großvater hieß auch schon Otto, genauso wie mein Enkel irgendwann auch Otto heißen wird. Zudem hat jedes Mitglied der Ga einen Namenszusatz. Bei den Frauen ist es „Naa“, was Königin bedeutet. Bei uns Männern ist es „Nii“ – der König. Mein erster Vorname (Rafak Nii) nutze ich nur in Ghana, hier in Deutschland der Einfachheit halber Otto.

Wie kann man sich deine Familie vorstellen?

Wir sind eine ghanaische Durchschnittsfamilie. Mein Vater ist Taxifahrer und meine Mutter steht mittags an der Straße, um ihr selbstgemachtes Kenkey zu verkaufen, Klöße aus Mais. Ich bin der Zweitälteste von uns sieben Kindern und jetzt 28 Jahre alt. Meine jüngste Schwester ist gerade mal zehn Jahre.

Sind alle deine Geschwister auch zur Schule gegangen?

Meiner Mutter ist das sehr wichtig. Sie selbst durfte als Kind – genauso wie mein Vater – nicht zur Schule gehen. Sie sagt uns immer, dass wir es besser haben sollen und etwas lernen müssen, um später bessere Chancen zu haben.

In Ghana gibt es doch eine Schulpflicht, oder?

Theoretisch ja. Die Realität sieht aber anders aus. Rund ein Drittel aller Kinder in Ghana gehen nicht bis zum Ende zur Schule. Viele Eltern erkennen nicht die Chancen, die eine Ausbildung ihren Kindern bringt. Schule ist für viele eine Ausgabenposition, die man sparen kann, denn selbst wenn man kein Schulgeld in Ghana zahlen muss, so muss man doch für Stifte, Schulhefte, Bücher und Schuluniform aufkommen. 

Das Geld ist für die meisten ohnehin knapp. So gehen viele Kinder eher arbeiten und verdienen für die Familie etwas dazu als zusätzliche Kosten zu verursachen. Auch bei uns zuhause war das Thema Geld immer präsent. Meine Geschwister und ich mussten deshalb nach der Schule erst mithelfen, den Kenkey für den kommenden Tag mit vorzubereiten.

Wie kann man sich das Schulsystem in Ghana vorstellen?

Während in Deutschland etwa 15 Prozent der Bevölkerung jünger als 15 Jahre sind, sind es in Ghana etwa 40 Prozent. Diese sehr junge Bevölkerung spiegelt sich auch darin wider, dass in Ghana die Klassen mit durchschnittlich 40 Schülern deutlich größer sind als in Deutschland. Zudem werden die Klassenräume der Schulen in einem Zwei-Schicht-System genutzt, um angemessenen Unterricht zu ermöglichen. In der A-Schicht startet der Unterricht um 8 Uhr morgens, in der B-Schicht um 14 Uhr am Nachmittag. Ähnlich wie in Deutschland gibt es Unter-, Mittel- und Oberstufen. Mit dem erfolgreichen Examen der Senior-High-School ist man berechtigt, auf die Universität zu geben.

Wo und was hast du studiert?

Ich habe an der Universität von Ghana studiert. Diese befindet sich am anderen Ende von Accra. Da ich mir keine eigene Unterkunft in der Nähe der Universität leisten konnte, musste ich während des Semesters jeden Tag pendeln. Und da Accra wie jede Großstadt morgens und abends unter einem totalen Verkehrskollaps leidet, hat ein Weg jeweils etwa zwei Stunden gedauert – wenn es gut lief.

Aber nach drei Jahren hatte ich es geschafft und einen Abschluss als Bachelor der Sozialarbeit und Soziologie in der 

Tasche. Diesen verdanke ich übrigens meinen Verwandten sowie vielen nahen und fernen Bekannten, die mich in meinem Studium nach besten Kräften unterstützt haben. Ohne die finanzielle Unterstützung der im Ausland lebenden Verwandten wäre bei mir, wie bei vielen Afrikanern, ein Universitätsbesuch nicht möglich gewesen.

Wie ging es dann weiter?

Schon während meines Studiums habe ich gemerkt, dass es mir wichtig ist, anderen Menschen zu helfen. Von der Unterstützung, die mir zu Teil wurde, wollte ich etwas zurückgeben. Deshalb habe ich mich um sogenannte Straßenkinder in Accra gekümmert. Dieses ehrenamtliche Engagement habe ich auch während meines einjährigen Zivildienstes, der für alle Ghanaer verpflichtend ist, fortgeführt.

Aber wie kommt man in Accra auf die Idee, in Erfurt „Public Policy“ zu studieren?

Mich hat die Frage bewegt, wie ich den Menschen in meinem Land am besten helfen kann. Aus meiner Sicht wird die größte Wirkung erzielt, wenn Rahmenbedingungen geschaffen werden, die mehr Chancengleichheit und den Zugang zu Bildung ermöglichen. Und diese Rahmenbedingungen werden von Regierungen und damit von der Politik festgelegt. Deshalb wollte ich Politiker werden und mich dafür mit einem Zweitstudium weiterbilden. Jedes weiterführende Studium in Ghana hätte ich mir jedoch nicht leisten können. Schließlich hatte mich mein Netzwerk schon einmal unterstützt. Ich habe mich deshalb in aller Welt über Universitäten informiert, die im Fachbereich Politikwissenschaften ein Stipendium anbieten.

Beim Helmut-Schmidt-Programm des Deutschen-Akademischen-Austauschdienstes (DAAD) bin ich schließlich fündig geworden. Es richtet sich an zukünftige Führungskräfte in Politik, Recht und Wirtschaft aus Entwicklungs- und Schwellenländern, die bei der Weiterentwicklung ihrer Heimatländer mitwirken wollen. Das Bewerbungsverfahren war sehr aufwändig und anstrengend, da man mit vielen guten Absolventen aus der ganzen Welt um die wenigen vorhandenen Plätze konkurriert. Am Ende war ich glücklicherweise erfolgreich und wurde für das Fach „Public Policy“ an der Willy Brandt School of Public Policy der Universität Erfurt angenommen. Zwischen meinem ersten Bewerbungsschreiben und der Ankunft in Frankfurt ist gut ein Jahr ins Land gegangen.

Wurdest du auf deine Zeit in Deutschland vorbereitet?

Nach meiner Ankunft in Frankfurt habe ich sechs Monate ein Seminar besucht, bei dem ich alles lernen durfte, was das Leben in Deutschland ausmacht – auch die deutsche Sprache. An dem Kurs haben auch die übrigen Teilnehmer des Helmut-Schmidt-Programms teilgenommen. In Summe waren wir zehn Studierende. Die gemeinsame Zeit war sehr wichtig, da wir uns zusammen an das für uns fremde Leben gewöhnen konnten. Und wir hatten immer jemanden an unserer Seite, der da war und es selbst nur zu gut nachvollziehen konnte, wenn es einem mal nicht so gut ging.

Wann hast du dein Studium an der Universität Erfurt abgeschlossen? Wie geht es weiter?

Im Herbst 2020 habe ich meinen Master gemacht. Jetzt möchte ich erst einmal Berufserfahrungen sammeln. Zuerst war ich bei der PATRIZIA Foundation als Freiberufler tätig.Meine Aufgabe bestand darin, in Zeiten der Corona-Pandemie Konzepte für digitales Lernen zu entwickeln. Dabei war es uns wichtig, keine „One Size-Fits-All“-Lösung zu erarbeiten, sondern eine, die länderspezifische Anforderungen berücksichtigt. Mittlerweile mache ich ein Traineeship und durchlaufe alle Stationen in der Stiftung – von Donor Relations über Projektpartner-Management bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit.

Hast du Pläne für die Zukunft?

 

Bildung ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft. Das wusste meine Mutter schon immer und es zeigt sich auch an meinem bisherigen Lebensweg. Ich würde gerne als Vorbild agieren und mithelfen, so vielen Kindern wie möglich die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben zu geben. Ob ich dafür als Politiker in Ghana arbeite oder in einer internationalen Non-Profit-Organisation maßgeschneiderte Programme für Länder wie Ghana entwickle, wird die Zeit zeigen.

Du bist jetzt seit über vier Jahren in Deutschland. Vermisst du deine Heimat?

Ich vermisse meine Eltern und meine Geschwister. Vor allem vermisse ich aber das Kenkey meiner Mutter. Zwar kann man in Deutschland mittlerweile die Zutaten dafür kaufen, aber keiner bereitet das Gericht so lecker zu wie sie. Ich hoffe, dass es trotz Corona in diesem Jahr möglich sein wird, für ein paar Wochen nach Hause zu fahren und ich mich dort von ihr verwöhnen lassen kann. Das wäre wirklich toll!

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Andreas Menke.

Rafak Nii Otto Dodoo

Rafak Nii Otto Dodoo (28) engagiert sich auch von Deutschland aus für Kinder in seiner Heimat. Mit der festen Überzeugung, dass Bildung die einzige Chance ist, der Armutsfalle zu entkommen, hat er gemeinsam mit einem Kommilitonen ein Projekt initiiert, das Kinder im Flüchtlingslager Budumburam unterstützt. Das Flüchtlingscamp liegt etwas außerhalb von Accra und ist das Zuhause von rund 12.000 Menschen, die aus Liberia geflüchtet sind. Sein Projekt „Knowledge is Power: The Reading Hub“ zielt darauf ab, das Interesse von Schülern am Lesen zu wecken und ihre Allgemeinbildung zu verbessern. 2020 wurde es von der Willy Brandt School mit dem Commitment Award ausgezeichnet.

Zudem hat er in seinem Heimatort Pokuase den „Dodoo Coding Club“ gegründet. Ziel des Clubs ist es, Kinder frühzeitig mit der Programmierung von Computern vertraut zu machen. Dadurch wird ein Interesse für das Thema geweckt, so dass sich die Kinder später als Programmierer ausbilden lassen. Eine Win-Win-Situation: Während junge Ghanaer die Möglichkeit haben, einen gut bezahlten Beruf in ihrer Gemeinde auszuüben, wird gleichzeitig der Mangel an fähigen Programmierern in den Industrieländern gemildert.