Prof. Dr. mult. Bodo B. Schlegelmilch von der Wirtschaftsuniversität Wien forscht seit den 1990er-Jahren zu Corporate Social Responsibility. In seinem aktuellen Buch beleuchtet er das Thema aus verschiedenen Perspektiven. Wir sprachen mit ihm in seinem Wiener Büro und erfuhren, dass selbst die Covid-19-Krise in Hinblick auf CSR etwas Positives haben kann.
Herr Prof. Schlegelmilch, CSR ist heute in aller Munde. Ist der Begriff denn überhaupt klar definiert?
Corporate Social Responsibility ist in der Tat eher lose definiert und hat Überlappungen zu Business Ethics auf der einen und Sustainability auf der anderen Seite – alle drei Begriffe fließen ineinander. Tatsächlich drückt CSR eine Verpflichtung von Unternehmen aus, etwas für die Gesellschaft zu tun, das über gesetzliche Vorschriften hinausgeht. Doch die Definition ist auch Stein des Anstoßes: Inwieweit handelt es sich um eine Verpflichtung und inwieweit ist es freiwillig? Geht es „nur“ um ein Adressieren negativer Einflüsse, die mit den Tätigkeiten eines Unternehmens in Zusammenhang stehen (z. B. eine möglichst umweltfreundliche Produktion) oder haben Unternehmen tatsächlich eine moralische Verpflichtung, etwas für die Gesellschaft zu tun, das über ihre gesetzlichen Verpflichtungen hinausgeht (z. B. sich um Obdachlose zu kümmern oder Kinderheime zu bauen).
In der Literatur gehen die Meinungen hier auseinander. Der Autor Edward Freeman repräsentiert eine Seite des Pols und argumentiert, dass Unternehmen Instrumente der öffentlichen Ordnung sind und eine moralische Verpflichtung haben, sich um sozial schwächer gestellte Gruppen zu kümmern. Im Gegensatz dazu propagiert Milton Freedman, dass die soziale Verantwortung von Unternehmen in erster Linie darin besteht, ihre Profite zu erhöhen; und zwar nach den Regeln des freien Wettbewerbs und ohne Täuschung und Betrug.
Sie forschen bereits seit den 90er-Jahren zu CSR. Hat sich die Wahrnehmung seitdem verändert?
CSR bzw. Business Ethics, wenn auch nicht so benannt, hat es schon immer und überall gegeben. Beispielsweise in Form von Industriellen, die sich besonders um die sie umgebenden Gemeinschaften gekümmert haben. In Japan haben große Unternehmen schon vor amerikanischen oder europäischen sogenannte Corporate Codes of Ethics formuliert. Mittlerweile ist das Thema stark in den Vordergrund gerückt. Es gibt kaum noch Interviews mit namhaften CEOs, in denen diese nicht betonen, welche zahlreichen Projekte ihre Unternehmen im Bereich CSR unterstützen. Auch an Business Schools steigt das Interesse an dem Thema. Studierende sind natürlich weiterhin daran interessiert, wie man Profite anheben kann – aber eben auch daran, welche Rolle Unternehmen in der Gesellschaft spielen sollten.
Der Gewinn ist also nicht mehr die „eine“ Maßgröße?
Richtig, denn Gewinnoptimierung lässt sich zwar relativ leicht messen und das Unternehmen so beurteilen. Wenn ein Unternehmen aber sowohl profitabel sein möchte, aber sich auch so verhalten will, dass die Umwelt nicht geschädigt wird, die Angestellten und Geschäftspartner gut behandelt werden und darüber hinaus noch etwas für die Gesellschaft tun, ist die Messbarkeit der Unternehmensresultate schwieriger. Können schwächere Gewinne mit CSR-Maßnahmen erklärt werden oder führen CSR-Maßnahmen sogar zu einer Gewinnsteigerung? Inwieweit ist die Unternehmensführung überhaupt berechtigt, CSR-Ausgaben zu tätigen; ist das nicht eine Entscheidung der Eigentümer, d. h. der Aktionäre, was man mit dem erwirtschafteten Profit macht? Es gibt viele Fragen, die zum Teil sehr kontrovers diskutiert werden.
Wie sieht es mit CSR-Reporting aus?
Es gibt mittlerweile einige recht gute Reportingstandards, wie beispielsweite die Global Reporting Initiative (GRI). Trotzdem bleibt die Messbarkeit die beherrschende Problematik: Wie messen Sie Humanität? Wie den Beitrag zum Umweltschutz? Der CO2-Ausstoß ist noch messbar, aber insgesamt wird es in dem Bereich auch schnell kompliziert, vernünftige Messgrößen heranzuziehen. Und auch eine objektive Überprüfung ist schwierig. Man muss daher immer aufpassen, da die Manipulationsmöglichkeiten sehr hoch sind. Denken Sie nur an das sogenannte Greenwashing.
Was sollten Unternehmen bei der Kommunikation von CSR beachten?
Die Kommunikation muss glaubhaft und realistisch sein, nicht zu anbiedernd bzw. aufdringlich, sonst werden Konsumenten schnell abgeschreckt. Besonders tragisch ist es, wenn erst große Parolen kommuniziert werden und dann ethische Verfehlungen ans Licht gebracht werden. Eine Positionierung über CSR muss daher genau überdacht werden.
Ist CSR aktuell ein Trend, auf den viele aufspringen?
Ich glaube, CSR wird immer wichtiger und entwickelt sich zusehends in Richtung einer sozialen Norm. Denken Sie an Tragetaschen: Während früher Plastiktaschen gängig waren, wird man heute damit fast schon zum Social Outcast und steigt lieber von selbst auf Jute um. „Gutes“ Verhalten führt auch im Unternehmensumfeld dazu, dass andere nachziehen, wenn eine bestimmte Anzahl von Organisationen sich CSR-bewusst verhält. Die Kraft der Norm ist enorm!
Und was ist dann die Kernmotivation eines Unternehmens: etwas Gutes tun oder nur kein Social Outcast sein?
Das lässt sich kaum verallgemeinern. Es kommt auf das Unternehmen an – ich glaube, dass es durchaus viele gibt, die CSR sehr ernst nehmen und auch gesellschaftliche oder ökologische Veränderungen herbeiführen oder zumindest unterstützen wollen. Andere wiederum springen nur auf den Trend auf, um nicht negativ wahrgenommen zu werden.
Viele Unternehmen spenden und sehen damit ihre Bringschuld erledigt. Wie wird das von der Gesellschaft wahrgenommen?
Im schlechtesten Fall nehmen Konsumenten solche Spenden gar nicht wahr. CSR-Aktivitäten, die in einem logischen Zusammenhang mit den Tätigkeitsfeldern der Unternehmen stehen, erwecken mehr Aufmerksamkeit und sind meines Erachtens auch authentischer. Wenn ein Computerhersteller Geräte für Schulen bereitstellt und dies mit Ausbildung verbindet, ist das stimmig. Wenn ein Pharmaunternehmen sich im Gesundheitsbereich engagiert, macht das ebenfalls Sinn. Ein Sponsoring für eine Ausstellung indigener Kunst im Amazonas wirft dagegen die Frage auf, wieso man das macht. CSR sollte möglichst zum Kerngeschäft passen und somit auch in allen Geschäftsprozessen verankert sein. Eine ausgegliederte CSR-Abteilung, die sich in Isolation einige Projekte ausdenkt, ist selten zielführend.
Worauf sollten Unternehmen achten, wenn sie einen geeigneten Partner für ihr CSR-Engagement suchen?
Es gibt eine große Zahl von Organisationen, NGOs, die hier Expertise und dadurch hohe Legitimität aufgebaut haben. Sie müssen einen guten Zweck verfolgen, in der Öffentlichkeit so wahrgenommen werden und professionell arbeiten und dokumentieren, wofür Gelder eingesetzt werden. Besonders wichtig ist die erzielte Wirkung, also konkretes Feedback, was mit der Unterstützung des Unternehmens erreicht wurde. Unternehmen müssen CSR-Ausgaben ja auch rechtfertigen, womit wir wieder bei der Messbarkeit sind.
Wie denken Sie, dass sich das Thema CSR in der Zukunft entwickeln wird?
Es wird noch wichtiger, als es ohnehin schon ist. Tatsächlich wurde der bestehende Trend durch Covid-19 noch beschleunigt. Beispielsweise wurde uns die Fragilität unserer Lieferketten deutlich bei der Maskenproduktion vor Augen geführt. Da hat man sich schon die Frage gestellt, ob die permanente Optimierung unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten wirklich der richtige Weg ist – und diese Reflektion sehe ich zunehmend auch in anderen Bereichen. Denken Sie beispielsweise an Flüge zu Meetings, die vor wenigen Monaten noch vollkommen normal waren und plötzlich durch Videokonferenzen ersetzt werden mussten. Ich davon aus, dass die Videokonferenzen und Homeoffice zumindest zu einem Teil nach Covid-19 bleiben werden. Die Pandemie hat uns daher gezeigt, dass umweltfreundlicheres Arbeiten möglich ist. Covid-19 führt in vielen Bereichen dazu, unsere Verhaltensweisen und Ziele zu überdenken. Dazu gehört auch die Rolle der Unternehmen in unserer Gesellschaft und damit auch die Rolle von CSR. Vielleich führt die Krise uns zu einem humaneren Miteinander.
Prof. Dr. mult. Bodo B. Schlegelmilch
Prof. Dr. mult. Bodo B. Schlegelmilch ist Vorsitzender des Instituts für International Marketing Management an der Wirtschaftsuniversität Wien, Vorsitzender der Association of MBAs (AMBA) und lehrt an verschiedenen Institutionen weltweit. Sein aktuelles Buch „Rethinking Business Responsibility in a Global Context: Challenges to Corporate Social Responsibility, Sustainability and Ethics”, herausgegeben mit Ilona Szőcs und im Februar 2020 im Springer-Verlag erschienen, beleuchtet CSR aus verschiedenen Perspektiven.