Friedbert Ottacher: Auf Augenhöhe

Apr. 2022

In Spittal an der Drau, einer Kleinstadt in Oberkärnten, wuchs Friedbert Ottacher auf. Gemeinsam mit drei Geschwistern. Seine Mutter war Hausfrau, sein Vater Forstbeamter. Seine Kindheit war alles andere als vom materiellen Überfluss geprägt. Geheizt wurde zuhause ausschließlich in der Küche. Ins Ausland mit der Familie in den Urlaub zu fahren, war undenkbar. Als Pfadfinder hat er dennoch im Kreise Gleichgesinnter einiges erlebt! Vor allem, was es heißt, zusammen zu halten und für die Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen. Und genau diese Erfahrungen prägen auch heute noch sein Wertesystem als jemand, der sich seit über 20 Jahren für die Zusammenarbeit zwischen sogenannten Entwicklungs- und Industrieländern engagiert. Ein Gespräch über das Nord-Süd-Gefälle der besonderen Art.

Wie kommt man als junger Mensch auf die Idee, sich in der Entwicklungshilfe zu engagieren. War das schon immer Ihr Berufswunsch oder eher Abenteuerlust?

Als junger Mensch weiß man ja eigentlich nur, was man nicht möchte. So war es auch bei mir. Als es darum ging, sich für ein Studium zu entscheiden, habe ich alles ausgeschlossen, was mich nicht ansprach. Das Studienfach „Raumplanung“ ist dann bei mir übriggeblieben. Wahrscheinlich auch deswegen, da ich mir nichts Konkretes darunter vorstellen konnte. Für meine abschließende Diplomarbeit habe ich als Praktikant der Aga Khan Foundation die Auswirkungen vom Bergsteigertourismus auf das Hochgebirgstal Hunza im nördlichen Pakistan untersucht. Ich habe dazu bei einer Familie vor Ort gelebt und die Effekte auf die Kultur, die Landnutzung und die lokale Wirtschaft analysiert. Während dieser Zeit habe ich mich dort pudelwohl gefühlt und kam so zum ersten Mal in Kontakt mit der damals sogenannten „Entwicklungshilfe“.

 

Wie muss man sich Ihren Start vorstellen?

Die Erfahrungen in Pakistan haben mich derart berührt, dass ich mich direkt danach bei der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) bewarb. Ende der 1990er-Jahre startete ich meine berufliche Laufbahn mit einem Auslandsaufenthalt in Palästina. In meiner ersten Anstellung als Büroleiter habe ich die ganze Bandbreite der Entwicklungszusammenarbeit kennengelernt – von kleinen Vereinen bis zu den Vereinten Nationen. Im Nachhinein betrachtet war ich ein Zauberlehrling, der als Berufsanfänger Mitarbeiter führte, Budgets freigab und mit palästinensischen Ministern Projekte verhandelte. Mit dem Ausbruch der zweiten Intifada wurde das Programm leider beendet. Ich musste das Büro dort schließen und allen Mitarbeitern kündigen.

Und wie ging es dann weiter?

Nach meiner Rückkehr aus Palästina habe ich mir bei unterschiedlichen österreichischen Hilfswerken als Programmkoordinator praktische Erfahrungen angeeignet. Über die Jahre konnte ich Projekte in Albanien, Ägypten, Äthiopien, Südsudan, Mosambik, Sambia, Namibia, Südafrika, Uganda, Kenia und Simbabwe mitgestalten. Mit jedem dieser Projekte hat sich gezeigt, dass die 1949 vom US-Präsidenten Harry S. Truman ins Leben gerufene Entwicklungshilfe nicht mehr zeitgemäß ist. Mit meinem langjährigen Kollegen Thomas Vogel habe ich deshalb ein Buch verfasst, in dem wir für ein Umdenken werben. Unter dem Titel „Entwicklungszusammenarbeit im Umbruch“ ist eine Publikation entstanden, die mittlerweile in dritter Auflage erschienen ist.

Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?

Während in den turbulenten 1970er- und 1980er-Jahren hitzig über globale Ungerechtigkeit, unfaire Handelsbedingungen und Ausbeutung diskutiert wurde, beschäftigt sich die Entwicklungszusammenarbeit heute zu oft mit sich selbst.

Um der wachsenden Kritik zu begegnen, werden aufwendige Wirkungsmessungen durchgeführt und die Strukturen und Prozesse laufend professionalisiert – was allzu oft eine weitere Bürokratisierung und Technisierung der Zusammenarbeit zur Folge hat.

Viel wichtiger wäre es jedoch, in Ergänzung zur konkreten Projektarbeit wieder politischer zu agieren und hier in Europa die Stimme zu erheben – so wie es beispielsweise die britische Hilfsorganisation Oxfam mit ihrer jährlichen Veröffentlichung über die Ungleichverteilung des globalen Reichtums tut. Nur über öffentliches Engagement und politische Kampagnen lassen sich die zentralen Ursachen von Armut und Ungleichverteilung thematisieren und bekämpfen.

Was ist notwendig, um die nächsten Schritte einzuleiten?

Wie immer im Leben entwickeln sich Dinge nach und nach. Und das gilt auch für die Entwicklungszusammenarbeit. Anfänglich war es eine reine Charity-Veranstaltung, bei der die reichen Industrieländer im Norden den armen Entwicklungsländern im Süden gegen ihren Hunger den viel zitierten „Fisch“ gesendet haben. Später hat man auf Hilfe zur Selbsthilfe gesetzt und „Angeln“ geschickt. Doch in einer globalisierten Welt werden wir damit den Kampf nicht gewinnen. Vielmehr müssen wir diese Länder empowern, ihre Themen in der Staatengemeinschaft zu adressieren. Um im Bild zu bleiben: Nur wenn sie ihre Fanggründe an ihrer Küste vor Überfischung durch Dritte international schützen lassen, werden sie sich entwickeln können. Kurz, wir müssen neben der Nothilfe bei Katastrophen und der Hilfe zur Selbsthilfe die Entwicklungsländer dabei unterstützen, ihre Interessen selbst wahrzunehmen. Und zwar nicht als Bittsteller im Bewusstsein des gelernten Nord-Süd-Gefälles, sondern als gleichberechtigter Partner auf Augenhöhe.

Die Entwicklungszusammenarbeit hat doch auch Erfolge erzielt. Oder sehen Sie das anders?

Keine Frage. In der Subsahara oder in Afrika, wo die ärmsten Staaten sind, sehe ich sehr wohl Fortschritte, besonders im Bereich Gesundheit und Bildung. 1990 ging dort nur eines von zwei Kindern in die Schule. 2015 waren es vier von fünf. Und die Kinder- und Müttersterblichkeit wurde um die Hälfte reduziert. In die Entwicklungszusammenarbeit wird viel hineininterpretiert und die Erwartungen sind sehr groß. Aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Zwar gibt Deutschland jedes Jahr rund 20 Mrd. Euro für die Entwicklungszusammenarbeit aus und trägt damit einen Löwenanteil des weltweiten Budgets von rund 150 Mrd. Euro pro Jahr. Dennoch entspricht das Gesamtvolumen gerade einmal einem Viertel des Bruttoinlandsproduktes des Freistaates Bayerns. Zu glauben, damit die Welt retten oder Armut und Hunger besiegen zu können, ist illusorisch.

Was ist für Sie ein Schlüsselelement, um den Teufelskreis zu durchbrechen?

Bildung, Bildung und nochmals Bildung. Sie schafft Zugang zur Welt, Verständnis und Anschluss. Wir sprechen ja auch von dem Megatrend der Digitalisierung, die auch in Afrika schon weit vorangeschritten ist. Die Menschen dort können um einiges schneller solche Veränderungen akzeptieren und umsetzen. Das merkt man beispielsweise an dem mobilen Geld M-Pesa, mit dem schon seit über zehn Jahren Geldbeträge von einem Handy auf sehr einfache Art und Weise aufs andere geschickt werden können. Aber dazu braucht es trotzdem eine gewisse Grundbildung. Ich muss rechnen, schreiben und lesen können. Von daher finde ich das Engagement der PATRIZIA Foundation extrem wichtig. Durch ihr Handeln wird eine Bildungsinfrastruktur hergestellt, die Einkommensmöglichkeiten schafft und damit neue Perspektiven auf ein selbstbestimmtes Leben und eine bessere Zukunft ermöglicht.

Das Interview führte Andreas Menke.

Friedbert Ottacher

Friedbert Ottacher versteht sich als Brückenbauer, der sein Wissen und seine Erfahrung gerne weitergibt – als Seminarleiter, Programmkoordinator, Key Note Speaker und Autor, wobei sich hier alles um das Thema Entwicklungszusammenarbeit dreht. Als selbstständiger Berater ist er zudem als Universitätslektor tätig und lehrt an den Universitäten in Wien und Innsbruck. Er lebt mit seiner fünfköpfigen Patchwork-Familie in Wien. Nach seiner Berufslaufbahn möchte er in Wien als Trauerredner und Fremdenführer aktiv werden. Mehr Infos unter www.ottacher.at